Haben Freunde antiker Textilkunst  auch jetzt Möglichkeiten? Beispiele im süddeutschen Raum
Haben Freunde antiker Textilkunst auch jetzt Möglichkeiten? Beispiele im süddeutschen Raum

Haben Freunde antiker Textilkunst auch jetzt Möglichkeiten? Beispiele im süddeutschen Raum

(am 10.6. überprüft, mit aktuellem Einschub versehen)
Daß unmittelbar zum Leben nötige Güter jederzeit erreichbar sein müssen, versteht sich von selbst. Aber der Mensch braucht auf Dauer noch mehr, auch „Nahrung“ für die Lebensfreude, für „seelisches Atmen“ gleichsam, gerade wenn man weitestgehend in seine 4 Wände verbannt ist.
So hat man gestern im Fernsehen zwei interessante Beiträge sehen können: Grundregeln für Wandern in unserer Bergwelt wurden gefunden, und im Kreis Traunstein haben findige Musiker ein Konzert im Freien veranstalten können (30 Stühle im Abstand, für Eingeladene, für eine Stunde mit Sofortende) – die Interviews mit den Beglückten haben einen Eindruck gemacht.

Jeder braucht aber auch weiterhin Einkünfte, somit auch die Geschäftsleute – zudem müssen sie ihre laufenden Kosten decken können (Die 30 % Soforthilfe, die sie auf Antrag erhalten haben, waren etwas – aber sichern nicht den Erhalt der Geschäfte). Seit der letzten (3.) Verordnung des bayerischen Gesundheitsministeriums dürfen alle Geschäfte grundsätzlich, aber unter Auflagen öffnen.
Da bestimmte Waren, die in sich nur singular sind, nur in e i n e m Geschäft an e i n e m Ort zur Verfügung stehen können, dazu nur aus einer Auswahl direkt besichtigbar und zu entscheiden, so beinhaltet das, daß der Kunde in eine andere Stadt (als sein Wohnort) fahren können muß, auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn auch nur unter den veröffentlichten Auflagen (per Bus schwierig).

Saf-Kelim Region Karapinar, 19. Jhd

Dies trifft auf den gesamten Kunsthandel zu: auf die Galerien aller Art.
Sie müssen nicht nur ausstellen können (wie die Museen, die dieser Tage wieder öffnen dürfen), sie müssen auch die Interessierten für ihr „Seelenleben zuhause“ beliefern dürfen.

Für Freunde antiker Textilkunst (Teppiche, Kelims …, was nicht Wohnungsausstattung meint) gibt es da – ich beschränke mich auf den süddeutschen Raum – faktisch nur beschränkt Möglichkeiten:
in München die Galerien von Maximilian Lerch und Hr. Bonakdar,
in Stuttgart Art Arabesque (Montigel – Herr Grünzner in Horb betreibt keine Galerie vor Ort, sondern ist fahrend), in Karlsruhe Sari, in Wiesbaden Bausback und
in Würzburg die Galerie Kelim von Werner Brändl.
Ich greife diese heraus, da sie seit rund 40 Jahren besteht, im einzigen mittelalterlichen Haus der Altstadt, das den Krieg heil überstanden hat,
und da Hr. Brändl regelmäßig Ausstellungen teils mit Symposien veranstaltet.

Bevor ich darauf näher eingehe, vermerke ich, daß ich seit Jahren regelmäßig über die Aktivitäten des Museum Fünf Kontinente (vormals Völkerkundemuseum) berichte (u.a. Carpet diem alle 2 Monate),
über einschlägige Ausstellungen in Traunstein (zuletzt zeigte das Ehepaar Weise seine Sammlung, die gerade wegen des freien Eintritts eine große Wirkung auch auf jüngere Kreise, die nicht zu den Sammlern gehören, ausübte) und
über eine große Ausstellung der TKF (Gesellschaft der österreichischen Sammler) im Museum der Kulturen Schwaz in Tirol.
Ich erwähne die Versteigerungen des Hauses Rippon Boswell in Wiesbaden letztes Wochenende (ohne lokale Präsenz, also nur über Telefon und Internet) und die in Wien am 30. Mai (Austria Auction von Udo Langauer), da hier auch ganze Sammlungen angeboten und so auf eine Nachfolgergeneration aufgeteilt werden.
Laut Rückmeldung ist die Auktion in Wiesbaden sehr erfolgreich verlaufen, da die Firma nicht nur den Weg über das normale Internet beschritten hat, sondern einen eigenen Online-Weg aufgebaut hat – man sieht darin ein Erfolgsmodell für die Zukunft. Das setzt allerdings ein grosses Vertrauen voraus, da eine Vorbesichtigung aus grossen Distanzen nicht möglich ist.

Yatak-Schlafteppich (Zentralanatolien), 19.Jhd

Einschub zum neuesten Stand im Juni: Die große Frühjahrsauktion am 27. Juni ist grundsätzlich wieder für Publikum zugänglich, aber wegen der weiter bestehenden Abstandsregelungen kann nur auf Anmeldung ein beschränkter Kreis vor Ort teilnehmen. Die 298 Angebote können aber bereits online begutachtet werden (rippon-boswell-wiesbaden.de).

Da Herr Brändl seine letzte Ausstellung unter dem Thema „Symbol und Farbe“ (alljährlich im Winter, vom 6.Dez) in der letzten Zeit nicht zugänglich machen konnte, hat er sie erst am Samstag abgebaut und beginnt dieser Tage zeitverschoben mit dem Aufbau der neuen unter dem Titel
„Nische und Lebensbaum“ -Symbole in antiken Kelims und Teppichen. (ab 23.5. zugänglich)
Das Symposium dazu musste vom Mai auf den 4.- 6- September verschoben werden.

Gebetskelim Aydinli/Menderes-Delta Westanatolien, Beg. 19.Jhd

Werner Brändl war 1969 als Bundesliage-Baskettballer nach Würzburg gekommen, hatte ein Jurastudium begonnen und zu dessen Finanzierung in den Semesterferien Gebraucht-LKW nach Damaskus gebracht, dann auf den Rückreisen Anatolien bereist und sich in Land und Leute „verliebt“ – was ich sehr gut verstehen kann – und in deren kulturelle Erzeugnisse: eben Kelims und Teppiche. Da die Juristerei nicht seine Welt war, gab er es auf, verblieb aber in Würzburg – bald familiär mit Zweitwohnung in Budapest als Basis für das Folgende: Er reiste in verschiedene Gegenden, nicht nur quer durch Anatolien. 1981 ergab sich die Gelegenheit, von einem Freund die Galerie „Der Kelim“ in dem erwähnten Haus in Würzburg zu übernehmen, darin aber zunächst Gründerzeitmöbel aus Ungarn zu verhandeln – was einige Jahre blendend verlief und ihm die Basis für Einkäufe in seinem Lieblingsbereich – eben antike textile Kunst – verschaffte. Etwa 1980 bis 1994 war in den Moscheen Anatoliens die günstigste Zeit dafür, da die immer fundamentalistischer werdenden religiösen Kräfte das mehrere hundert Jahre gestiftete „Zeug“ nicht in ihren Moscheen haben wollten (einige verbrannten es lieber auch dann, wenn sie ihr gefordertes Geld nicht bekamen).
Ab 1984 mehrten sich so Brändls Anatolien-Reisen, bis zu 6 Wochen im Zelt übernachtend – und er gewann Freunde, insbesondere in West-Anatolien einen Aussendienstmitarbeiter der Gesundheitsbehörde namens Cavit Ercan, der als „Barfußdoktor“ (ich kenne den Ausdruck aus der VR China) regen Kontakt mit der nomadischen Bevölkerung in der Großregion hatte, zugleich und auch dadurch zu einem Experten derer textiler Kunsterzeugnisse geworden war – was er nun an Brändl weitergab.

Diese Produkte flossen immer mehr in den Geschäftsbereich der Galerie „Kelim“ ein, bis sie nach Ende des Möbel-Booms fast ausschließlich zu seinem Handelsschwerpunkt für den süddeutschen Raum wurden, wie es heute der Fall ist. Der Hauptbereich sind tatsächlich Kelims, also Gewebtes neben Geknüpftem, alles mit Naturfarben gefärbt (wegen der Lagerung in Moscheen weitgehend leuchtkräftig erhalten), vorwiegend aus dem 19. Jhd (wie weit das 17.Jhd, wie aus Ausstellungstiteln der nahezu 40 Jahre zu entnehmen, ausverkauft ist, weiß ich nicht – es ist wohl weitestgehend der Fall). „Vor 1800“ und „um 1800“ – durchaus übliche vorsichtige Angaben im Galeriewesen – ist noch anzufinden (auf den mir vorliegenden Listen je 2x). Herr Brändl ist auch sehr vorsichtig mit den eindeutigen Zuweisungen „Beginn 19.Jhd“ und „1. Hälfte 19.Jhd“. Am anderen Ende des von wirklichen Sammlern Gefragten: Einiges Naturgefärbte in nomadischer Tradition aus dem „Beginn 20.Jh“ ist vereinzelt vorhanden und bei einem seriösen Händler glaubbar – so auch auch hier (höchstens 2-4x pro Ausstellung unter 41 Stücken). Das zeigt, wie kritisch man sonst weithin sein muß.

Gebetskelim der Yörük-Nomaden, Region Taurus-Gebirge/Kilikische Pforte, nördlich Adana, 2. Hälfte 19. Jhd,

Die Preisgestaltung ist durchaus moderat (zuletzt zwischen Euro 340 und 4.500, diesmal sehr ähnlich).
Die neue Ausstellung verstärkt den Eindruck vom letzten Mal: Die überwiegend aus dem 19. Jhd damals in den Moscheen erwerbbaren gewebten und geknüpften Objekte sind wirklich von herausragender Qualität dh gekonnt ausgewählt. Ich erwähne als ältestes hoch-interessantes Stück einen Obruk-Kelim (also Zentralanatolien) – der Gördes-Gebetsteppich ist zwar noch zu bewundern, aber bereits vergeben. Von den Gebetskelims kann ich zwei mit Foto belegen, ebenso vom Saf (dh Reihengebetskelim, 19. Jh, Region Karapinar) – die anderen müssen Sie vor Ort sehen, Vermutlich in Kappadokien geknüpft wurde ein äusserst seltenes Beispiel eines Gebetsteppichs, und besonders erwähnen möchte ich auch die 5 wertvollen Objekte aus dem Balkan-Gebiet (NW-Bulgarien u. S-Makadonien – da müssen Sie sich die Zuwanderungs- und Rückwanderungsgeschiche und Völkervermischung erklären lassen, die dahinter steckt).
Über die Symbolik von Nische (Höhle, Gewölbe) und Lebensbaum können Sie in der Literatur einiges erfahren. Ich möchte Sie zum Schauen animieren, und dann zum Kaufen.

MünchenBlick/ Walter Schober