Ein Muss für die Freunde und Interessenten antiker Textilkunst: Ausstellung Klosterkirche Traunstein
Ein Muss für die Freunde und Interessenten antiker Textilkunst: Ausstellung Klosterkirche Traunstein

Ein Muss für die Freunde und Interessenten antiker Textilkunst: Ausstellung Klosterkirche Traunstein

Wie ich in meinem Artikel vom 22. August („Für Freunde textiler Kunst: Termine“) unter Pkt 2 schon hingewiesen und mich dann bei der Eröffnung überzeugt habe, gibt es in dem neu gestalteten Kulturforum Traunstein , Ludwigstrasse 11 (die ehemalige Klosterkirche ist dafür fertig adaptiert) leider nur bis zum 6. Oktober, dafür aber gratis eine äusserst sehenswerte Ausstellung, die man nicht versäumen sollte:

Botschafter aus dem Orient – 2000 Jahre Textilkunst

Das s i n d tatsächlich die Objekte, die das im nahen Siegsdorf wohnende Eheleute Silke und Roland Weise in mehreren Jahrzehnten gesammelt haben. Sie haben sie bisher nie gezeigt, ein Gutteil ist auch nirgends veröffentlicht (aber rund 60 sind in der internationalen Fachliteratur abgebildet, teils mehrfach) und wird wohl nie mehr öffentlich gezeigt werden: Botschafter über Lebenswelt und Handfertigkeit mit Materialien, vorhanden in anderen Kulturen als der unsrigen.
Um das in dem Ausmaß – von einem einzigen Sammler! – und von dieser kulturhistorischen Bedeutung im deutschsprachigen Raum zu sehen, müssen Sie sonst nach Berlin (Museumsinsel), Wien (Museum der angewandten Kunst) und speziell Zürich-Rietberg fahren, nach Istanbul und Ankara, nach London, Paris und Lyon, nach Budapest und St. Petersburg, in die USA und neuestens an den Persischen Golf.
Was 10 österreichische Sammler jetzt (glücklicherweise bis in den Februar hinein) in Schwaz (vor Innsbruck gelegen) zeigen, habe ich kurz bereits geschildert und werde ich Sie noch zu verführen versuchen.
Herr Weise war aufgrund seiner führenden Position in einer grossen Handelsfirma oft weltweit unterwegs und konnte ein Netzwerk nutzen und auch ins Private hinein ergänzen /vorletzte Katalogseite listet die Einkaufsquellen auf) – es eröffneten sich ihm so glücklicherweise Chancen zu Vielem. Seine Frau hat ihr beidseitiges Interesse für andere Kulturen vertieft hin auf Samt und Seide (über mit Wolle Gewebtes und Geknüpftes hinaus).
Nun lassen sie Uns-Weitere teilhaben und werben bei Neuen für andere Welten. Sie zitieren im Katalog eine für sie entscheidende Aussage des französischen Malers Delacroix über die Farben des Orientteppichs:„Musik für die Augen“. So laden sie die Betrachter ihrer Schätze ein,
„mit den Augen zu hören“ = aufzunehmen, was sie zu sagen haben – zu lesen und zu vernehmen – Einsichten zu bekommen, die sich ihnen noch nicht eröffnet haben.
Diese Teppiche legt man nicht auf den Boden und tritt man nicht mit den Füßen (wie alles nicht, was man liebt), sondern man hängt sie auf wie ein Gemälde oder geliebte Fotos, man erfreut sich (vielleicht ablenkend von anderem rund herum, von Chaos sowie von Sorgen), man erfreut sich an der Vielfalt der Klangfarben der Orchesterinstrumente, der Melodien und Harmonien – hier der Komposition an Farben, der Motive und Symbole.

Die Frauen, die diese Kunstwerke geschaffen haben, meist Analphabeten, übertrugen ihre Weltsicht, ihre Lebensführung (auch religiös – im Blick auf ihre Sorgen, etwa Fruchtbarkeit und Geburt; Lebensunterhalt durch Ernte also Wetter bzw. Katastrophen, Schutz), die Wertehaltung ihrer Generation, ihrer Familie, ihres Stammes in die Objekte hinein, lebten mit ihnen (bzw schufen ihre Aussteuer mit einigem), es war ihr Schmuck (der Katalog einer vorausgehenden Ausstellung in Traunstein trug den treffenden Titel „Zweck und Zier“,denn): Es waren Gebrauchsobjekte, „Möbel“, Schmuck der Raumkonstruktion, Festtafel am Boden, Hochzeitsdekor und und und: zugleich ihr Luxus.

Wo sieht man schon in einer Ausstellung:
ein skythisches Tierpaneel aus dem 1.Jhd v. Chr. (C14-getestet) aus Sibirien;
ein kleines Ha-Fragment aus Seide, mit Drachen und Schrift (aua derselben Zeittiefe da C14-datiert 2085 +/-45)
ein Schlaufenteppich-Fragment aus dem Ägypten des 4. – 6. Jhds;
zum Motivvergleich Arabesken und Pferde-Protom auf einem Holzpaneel aus dem Kairo des 11.Jhds (Fatimiden-Zeit);
Phönixe und Wolkenbänder in Goldstickerei auf hellblauer Seide aus der Dynastie der Liao o Jin (China 11.-13.Jhd);
2 Fragmente eines Teppichs mit Weltebenen und Weltenbaum aus der 14./15.Jhd-Wende (SO-Anatolien?) – ebenfalls RadioCarbon-getestet;
um 1450 ist ein Fragment eines Teppichs mit Holbein-Muster aus dem indischen Deccan datierbar (auf Gemälden des Malers Holbein d.Ä. dargestellte anatolische Teppiche – deshalb die Benennung – stammen aus der 1. Hälfte des 16. Jhds);
China-Fragment um 1600 oder früher (also vor Ende der Ming-Herrschaft), bisher unpubliziert;
sensationell und in keiner Teppich-Fachlitertur zu finden das Fragment eines „Anatolischen Tierteppichs“ um 1500 (aus SO-Anatolien oder Kaukasus;
ein Vergleichsstück wurde 1997 auch von der ETH datiert) – frühere Motive waren geometrisch bzw floral;
ebenfalls um 1500 datiert ein vollständiger(!) Ushak-Lotto-Teppich;
aus der Zeittiefe um 1600 stammt ein doppelbahniger Catma-Seidensamt mit Gold- und Silberfäden aus Bursa (W-Anatolien; verbreitetes Motiv);
aus Karapinar (Zentralanatolien) im 16.Jhd kommt ein Medaillon-Teppich mit seltener Bordüre (randbeschädigt; Vergleichsstück im Vaklifar-Mus.);
aus dem späten 16.Jhd kommt ein Ushak-Fragment mit Chintamani-Muster und sehr viel Bordüre;
aus der Wende 16./17.Jhds stammt ein größeres Teppichfragment aus Aserbeidschan/Persien;
im 17.Jhd gestickt kommen aus der Karabagh-Region eine kaukasische Seidenstickerei (heute zu Aserbeidschan gehörende Region)
und ein bisher unpubliziertes kaukasisches Fragment, das sehr beeindruckend ist
und aus dem Persien dieser Zeit (Safawiden-Dynastie) wird ein Seiden- und Goldgeweben-Fragment gezeigt;
aus dem 2. Hälfte des 17.Jhds kommt aus Westanatolien einTeppich mit Doppel-Keyhole-Muster (fast unbeschädigt);
Drachenteppich der Kang-Hsi-Zeit (Ende 17./Anf. 18.Jh – gestorben 1722) aus der Sammlung von Lorentz (Standardbuch über China-Teppiche), später Marx (Ausstellung im Völkerkunde-Museum München);
mit der Angabe „Mitte 18.Jhd“ gibt es als Besonderheit einen Moghul-„Sommerteppich“: nach Miniatur-Vorlage auf Baumwolle gesteppt
sowie osmanische Kemha aus der Seidenproduktion auf der Insel Chios (auch Aussenseite Katalog-Einband).

Aua der Zeit um 1800 kommen mehrere Objekte – das ist auch die Zeit, aus der normal-sterbliche Sammler etwas leichter ergattern können und die Auktionäre und Händler gerne angeben.
Zwei sind datiert: mit 1206 dh 1791 ein Schirwan-Gebetsteppich (also Kaukasus) und mit 1219 dh 1796 ein Moghul-Gebetsteppich in Stepptechnik aus Gujarat,
zwei mit „um 1800 oder früher“: die ältesten Turkmenen der Ausstellung: eine Yomut-Torba (mit Memling-Gül und auffallender Bordüre)
und ein Yomut/Imreli-Hauptteppich,
und 13 mit der Datierung „um 1800“, ich erwähne dnr Melas-Gebetsteppich (siehe Foto im Artikel 1),
einen Yomut-Engsi, einen Karadashli-Hauptteppich mit einer aussergewöhnlichen Bordüre, eine Ersari-Torba (also turkmenisch),
einen Belutsch-Teppich aus Khorasan und einen Transkaukasischen Teppich.

Selbstverständlich sind auch alle Stücke aus dem 19. Jhd über dem Niveau dessen, was man im gehobenen Fachhandel sieht. Da Taschen am stärksten strapaziert wurden – waren sie doch die „Möbel“ für alles Kleinere -, hat sich nichts Älteres erhalten.
Auch bei Seidenstickereien aus Zentrtalasien ist „Beginn 19.Jhd“ das erreichbarste Alter (zu sehen ein bisher unpubliziertes Stück aus Buchara/Usbekisten) sowie bei Ikat-Textilien
Dieser Bericht ist zudem nach dem ausgezeichneten Katalog (35.,- Euro; der Katalog „Zweck und Zier“ über die Taschen ist noch für 15,- Euro zu erwerben) erstellt, der nur ca die Hälfte der ausgestellten Objekte enthält. Er benennt öfters die Provenienz/Vorgeschichte.

Sie werden verstehen, daß ich von der Ausstellung sehr angetan bin. Versäumen Sie sie nicht!! Und fahren Sie auch nach Schwaz!

MünchenBlick/ Walter Schober

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