München 21. Mai 2012
Diesmal wird die Special Olympics der Nationalen Spiele für Menschen mit geistiger Behinderung eröffnet.
Olympische Spiele in München! Wenn wir das hören, werden Erinnerungen wach an die Zeit vor vierzig Jahren. Einmal und unvermeidlich an das schreckliche Attentat auf die israelischen Sportler, das unser Land und die ganze Welt zutiefst schockiert hat.
Aber es werden auch die Erinnerungen wach, wie sich zuvor der ganzen Welt in heiteren Spielen ein modernes, freies, sympathisches Deutschland zeigte. Diese Erinnerung ist untrennbar verbunden mit dem wunderbaren Zeltdach unter dem blauen bayrischen Himmel: Das Zelt, das sozusagen der ganzen Menschheitsfamilie einen friedlichen Rastplatz bot. Für die Zeit der Spiele und des Miteinanders über alle Grenzen hinweg.
Dieser ursprüngliche Geist von München 72, der die Planungen, die Architektur und die festliche Eröffnung der Spiele prägte, das soll auch der Geist von München 2012 sein, der Geist der Special Olympics, die wir heute eröffnen.
Das ist mein Wunsch für Sie alle, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Athletinnen und Athleten, die Zuschauerinnen und Zuschauer, Trainer, Betreuer, die Freunde und Verwandten, Vereinsvorstände, Verantwortlichen der Verbände, Sponsoren, Förderer. Ihnen allen wünsche ich, dass Sie Freude und Heiterkeit erleben, einen fairen Wettbewerb, Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit, eine große, erfüllte Pause vom Alltag, ein Festival für Leib und Seele, ein Fest für alle gemeinsam.
„Was für ein schöner Tag!“ – wäre das Copyright für dieses schöne Bild nicht seit der Wahl unseres Bundespräsidenten vergeben, so würde ich es mir gerne zu Eigen machen. Was für ein schöner Tag
für unsere 5.000 Sportlerinnen und Sportler, die sich in monatelanger Anstrengung auf diese Spiele vorbereitet haben und in dieser Woche in 19 olympischen Disziplinen aneinander ihre Kräfte messen werden,
für die mitangereisten Familien, die eine Woche lang ihre Kinder oder Enkel oder Geschwister im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen sehen,
für die 2000 Schülerinnen und Schüler aus München und Umgebung, die als Helferinnen und Helfer sich freiwillig gemeldet und auf diesen besonderen Dienst gründlich haben vorbereiten lassen,
für die sportlichen Betreuerinnen und Betreuer, die jahrein/jahraus in den Einrichtungen und in den Vereinen die Voraussetzung für eine erfolgreiche Qualifizierung der Sportlerinnen und Sportler haben schaffen helfen,
für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Partnerfirmen ABB Mannheim, s.Oliver, und Würth, die und z.T. seit vielen Jahren bei unseren Nationalen Spielen Betreuerdienste leisten, und erstmals auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma Bilfinger-Berger und des Bayerischen Rundfunks,
für die vielen finanziellen Förderer aus München und Bayern und für die, die es seit vielen Jahren neben unseren Partnern und immer wieder tun, ganz vorneweg die AKTION MENSCH,
für die vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Planer und Organisatoren, die diese Spiele erst möglich gemacht haben.
Wie gesagt: Was für ein schöner Tag!
2.
Wir wissen es als große Ehre und hohe Auszeichnung zu schätzen, dass Sie, verehrter Herr Bundespräsident, heute anlässlich der Eröffnung der Nationalen Spiele von Special Olympics nach München gekommen sind. Sie haben damit eine gute Entscheidung getroffen, denn „bei Special Olympics kann man den wahren Kern des Sports besichtigen“, wie der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, Dr. Thomas Bach, es einmal formuliert hat. Hier
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gehe es nicht ums Gewinnen um jeden Preis und um Preisgelder, nicht ums Kalkül, nicht um Doping und Drogen – die unverfälschte Freude über das Dabeisein und das Mitmachen-Dürfen und -Können werde hier gelebt. Natürlich geht es auch bei unseren Sportlerinnen und Sportlern um die Anstrengung, um das Siegen-Wollen, getreu unserem Olympischen Eid: „Lasst mich gewinnen – doch wenn ich nicht gewinnen kann, so lasst mich mutig mein Bestes geben.“
Wie gesagt: Wir fühlen uns durch Ihre Anwesenheit, Herr Bundespräsident,
geehrt, und ich bin sicher, dass unsere Athletinnen und Athleten ihre Freude
darüber und ihren Dank bei der Eröffnungsfeier auch zum Ausdruck bringen
werden.
(Dr. Bach übrigens befindet sich zur Stunde auf dem Flug zu einer Sitzung des
IOC in Quebec, ich soll Sie herzlich von ihm grüßen).
Ehrenvoll ist Ihre Geste, verehrter Herr Oberbürgermeister, uns hier im Rathaus zu empfangen. Während der Vorbereitungszeit in den letzten 1 Vi Jahren bereits konnten wir nicht nur die sprichwörtliche Münchner Gastfreundschaft erfahren, sondern auch und insbesondere die tatkräftige Hilfe Ihrer Verwaltung und auch Ihre sehr persönliche. Dafür danke ich Ihnen. München ist nach 40jähriger Abstinenz wieder einmal Ausrichterstadt Olympischer Spiele!
Es ist ja immer sinnvoll und mitunter auch nützlich, mit den Hilfreichen und Großzügigen im Bunde zu sein:
Verehrter Herr Ministerpräsident, seit Ihrer nicht angekündigten und unerwarteten Teilnahme an einem wichtigen Gespräch unseres Organisationskomitees mit Ihren Mitarbeitern in der Staatskanzlei wissen wir, welch sehr konkrete, d.h. in diesem Falle pekuniäre, Auswirkung die Anrufung der Patrona Bavariae und die Bitte um Ausbreitung ihres Mantels, in diesem Falle über Special Olympics, haben kann. Die Vermutung allerdings liegt nahe, dass die Patrona im sehr familiären Umfeld und Vorfeld segensreich gewirkt hat.
Für all das, nicht zuletzt für die große Bereitschaft der Medien, allen voran des Bayerischen Rundfunks, uns zu unterstützen und unsere Botschaft in einem bisher nicht gekannten Ausmaß zu transportieren, darf ich mich herzlich bedanken; für Special Olympics Deutschland und für unseren bayerischen Landesverband und ihre Vorsitzende Ina Stein.
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Special Olympics ist die weltweit größte und vom IOC anerkannte Sportbewegung für Menschen mit einer geistigen Behinderung; sie stehen im Mittelpunkt dieser Spiele. Aber es sind nicht nur ihre Spiele. Nationale Spiele
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sind und werden zunehmend auch Spiele der Unified Partner, also derer, die als nicht-behinderte zusammen mit den behinderten Athleten in Mannschaften oder Staffeln antreten. Deren Anzahl hat sich gegenüber den vorangegangenen Spielen auf nunmehr 151 mehr als verdoppelt. So wird Inklusion auf lebendigfreudvolle Weise Wirklichkeit.
Dies ist der eigentliche Auftrag und das große Anliegen von Special Olympics: Menschen mit einer geistigen Behinderung durch sportliche Betätigung und auch durch das gemeinsame Spiel mit nicht-behinderten Sportlerinnen und Sportlern Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen zu geben; sie zu befähigen, ihr Leben, soweit dies möglich ist, selbst in die Hand zu nehmen; selbst zu entscheiden, wann, wo und mit wem sie Sport betreiben; und nicht zuletzt: Durch sportliche Betätigung und Erfolge gesellschaftliche Anerkennung und Akzeptanz zu finden. Wie weit sind wir auf diesem Weg gekommen?
4. Gewiss haben sich die Lebensbedingungen für geistig behinderte Menschen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in einer Vielzahl von Ländern entscheidend verbessert, und gewiss hat Special Olympics weltweit und in Deutschland seit ihrer Gründung vor 20 Jahren dazu einen Beitrag geleistet. Wir sind heute in 14 Bundesländern präsent, bieten neben den qualifizierten sportlichen Möglichkeiten ein den Bedürfnissen behinderter Menschen entsprechendes Gesundheitsprogramm und ein Familienprogramm an, das als Unterstützung für den alltäglichen Umgang mit behinderten Familienmitgliedern gedacht ist und angenommen wird.
Nicht zuletzt haben wir vor vier Jahren mit der Gründung unserer Akademie ein den besonderen Bedingungen des Sportes von behinderten Menschen entsprechendes Instrument zur Aus- und Fortbildung geschaffen. Dies alles dient dem Zweck, inklusives Leben in unserem Leben zu gestalten.
Inklusion, in einfache Sprache übersetzt, bedeutet: „Mitten drin“, nicht irgendwo daneben oder am Rand, sondern mitten in der Gesellschaft. Inklusion ist eine fortwährende Aufgabe, wenn UN-Behindertenrechts-Konvention, Grundgesetz und Aktionsplan nicht stumme Texte bleiben sollen, sondern wenn und weil sie gelebt werden wollen.
Inklusion ist etwas anderes und auch mehr als Integration: Inklusion ist Wertschätzung, ist gleiche Augenhöhe, ist die Fähigkeit, sich auf andere, sich auf das „un-normal“ scheinende als „normales“ einzulassen; und nicht zuletzt die Einsicht zu haben, dass jede oder jeder von uns, die oder der sich für „normal“ hält, schon morgen oder gar heute noch, z.B. durch äußeren Einfluss, „unnormal“ werden kann.
Unvergessen ist das Wort von Bundespräsident Richard von Weizsäcker aus dem Jahr 1993: „Es ist normal, verschieden zu sein.“
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Deshalb ist auch das Zusammenwirken mit und in den Sportvereinen so wichtig: Weil das gemeinsame Spiel und der gemeinsame Umgang miteinander Barrieren abbaut. Doch dies wird nicht gelingen ohne die tatkräftige Hilfe des organisierten Sports. Da gibt es gute Ansätze, z.B. unsere Kooperation mit der Sepp-Herberger-Stiftung in dem Projekt FussballFREUNDE. Doch das reicht nicht: Wir brauchen, lieber Ehrenpräsident des Nationalen Olympischen Komitees, Prof. Walther Tröger, – und dies ist unsere Forderung an den organisierten Sport – die Bereitschaft der Vereine, sich für kooperative Modelle zu öffnen.
Doch diese Forderung richtet sich an die Gesellschaft als Ganzes: Sperren zu überwinden und Barrieren niederzulegen, nicht nur in den Bürgersteigen und in den Zugängen zu öffentlichen Gebäuden, sondern vielmehr noch in unseren Köpfen.
Dies anzunehmen, ist Aufgabe und Kennzeichen einer humanen Gesellschaft. Nirgendwo ist dies schöner beschrieben als in der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, in deren Präambel es heißt: „Das Schweizervolk und die Kantone …. (sind) gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen.“
5. Nun können die Spiele beginnen. Von ihnen soll ein starkes Signal ausgehen in den deutschen Sport und die Gesellschaft. Es geht uns nicht um den kurzfristigen Erfolg einer Festwoche, sondern es geht uns um die nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen von und für Menschen mit einer geistigen Behinderung und deren Chance auf gesellschaftliche Teilhabe. „Gemeinsam stark“ ist das Motto, unter das wir die Spiele gestellt haben. Gemeinsam – das sind wir alle: Vom ersten Bürger unseres Landes, dem Bundespräsidenten, über den bayerischen Ministerpräsidenten und den Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München und die Ehrengäste hier bis hin zu den Aktiven der Nationalen Spiele, unsere Athletinnen und Athleten. Es gilt die Erkenntnis: Kein Mensch ist mehr Mensch als ein anderer. Auch der Umkehrschluss gilt: Kein Mensch ist weniger Mensch als ein anderer.
Das ist die Philosophie von Special Olympics, in Deutschland und in 174 weiteren Ländern der Erde. Wir wissen, dass wir Gemeinsam stark sind.