Literarische Lösungen für den Nahostkonflikt‏
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Muenchen 7.November 2011

Literarische Lösungen für den Nahostkonflikt

Israel in Ostdeutschland und andere Lösungen für den Nahostkonflikt

Patrizia Schlosser

Schon der Buchtitel ist ein provokantes Statement für sich: In »Solution 196-213: United States of Palestine-Israel« schlagen Palästinenser, Israelis und ein deutscher Autor ungewöhnliche Ideen zur Lösung des Nahostkonflikts vor.

Buchvorstellung im Goethe-Institut Ramallah. Der alte Palästinenser ist aufgestanden. Sein Gesicht ist vor unterdrückter Wut verzerrt, die rechte Hand umklammert die Stuhllehne. »Nach Deutschland soll ich gehen? Ich bin ein Flüchtling aus Jaffa, dort ist mein Zuhause. Sie haben doch keine Ahnung«, schleudert er dem deutschen Buchautor Ingo Niermann entgegen. Dem Berliner steht der Schweiß auf der Stirn. Das Publikum rutscht auf seinen Stühlen hin und her, der Moderator blickt angestrengt in seine Notizen. Für wenige Sekunden beherrscht dröhnende Stille die Bibliothek des Goethe-Instituts Ramallah. Die Realität ist eingebrochen in die intellektuelle Diskussionsrunde.

Siebzehn Lösungsansätze sind in dem schmalen, weißen Band versammelt, zu dessen Vorstellung sich fünf der Autoren im Goethe-Institut versammelt haben.  Zwei Staaten oder ein gemeinsamer? Auch diese Frage wird im Buch verhandelt. Allerdings wird ihr nicht so viel Bedeutung beigemessen wie aktuell in den Medien. Stattdessen regen die Beiträge dazu an, um die Ecke zu denken und sich auch an skurrilen Ideen zu versuchen. Von ernst gemeinten bis satirischen Vorschlägen ist alles dabei: Wie wäre es etwa damit, das Hightech-Überwachungssystem der israelischen Armee dafür zu nutzen, eine Wahl durchzuführen, bei der sich jeder Mensch zwischen Jordan und Mittelmeer für eine der zahlreichen israelischen sowie palästinensischen Parteien entscheiden könnte?

Israel 2.0 in Ostdeutschland

Ingo Niermann skizziert seinen Lösungsvorschlag für den Konflikt. »Es gibt zu wenig Land für die Bevölkerung. Warum nimmt Deutschland nicht seine Verantwortung für Israel ernst, anstatt sich mit der Rolle des stillen Beobachters aus der Affäre zu stehlen?«, fragt er in die Runde, beugt sich vor und holt zum Schlag aus. »Warum gibt es nicht einen Teil seines Landes her, um darin ein zweites Palästina oder ein zweites Israel entstehen zu lassen?« Ungläubiges Staunen im Publikum.

Blick ins Buch: Ingo Niermann hat seinem Beitrag eine Deutschlandkarte beigefügt. Im Osten ist ein grau schattiertes, langgezogenes Puzzleteil zu sehen: Israel inklusive der Palästinensischen Gebiete. Das kleine Land nimmt nicht einmal die Hälfte Ostdeutschlands ein. »Hier gibt es genügend Platz für ein Land in der Größe Israels«, so der Schriftstellers. Ein paar Leute lachen amüsiert über die skurrile Vorstellung eines palästinensisch-israelischen Staates in Ostdeutschland. Doch können es solche Ideen mit der Realität aufnehmen? Bleiben sie nicht wahrscheinlicher  intellektuelle Gedankenspiele zwischen zwei Buchdeckeln?

Der alte Mann im Publikum ist aufgestanden. Er wolle nicht einfach Land, er wolle sein Land zurück. Der Flüchtling aus Jaffa floh nach Ausrufung des Staates Israel und dem darauffolgenden Krieg aus seiner Heimatstadt ins Westjordanland. »Die Juden haben mein Land besetzt. Hier geht es doch nicht um Deutschland. Sie verstehen nichts«, redet er sich in Rage. Ingo Niermann verteidigt seinen Vorschlag, der Moderator versucht zu klären. Doch für den alten Mann zählt nur die verlorene Heimat. Er macht eine wegwerfende Handbewegung und humpelt zur Tür hinaus.

Hier in den palästinensischen Gebieten ist bereits das Einladen eines Israelis eine heikle Angelegenheit. Der jüdische Herausgeber des schmalen, weißen Bandes, Joshua Simon, ist für die Buchvorstellung zum ersten Mal seit der zweiten Intifada aus Tel Aviv nach Ramallah gereist. Am Ende des Abends wird er mit dem Taxi über einen Checkpoint fahren, der nicht streng kontrolliert wird und so eine Geldstrafe für den illegalen Besuch im Westjordanland vermeiden. Israelis ist es verboten, nach Ramallah zu fahren.

Mit schwarzer Brille und verstrubbelten Lockenkopf steht Joshua Simon vor einem Falafel-Stand im Zentrum Ramallahs und beißt in sein Pitabrot. Letzte Stärkung vor der Buchvorstellung. »Wir wollen keinen Master-Plan verkünden, wie es in den letzten 150 Jahren immer wieder getan wurde, sondern Begriffe wie Identität, Staat und Konfliktlösung überdenken und daraus spezifische Ideen entwickeln«, erklärt er den Ansatz des Buches.

Letzte Lösung: Ein Erdbeben

Währenddessen bestellt Autorin Asma Agbarieh-Zhalka ein Schawarma, ein arabisches Hähnchen-Sandwich an der Imbissbude. »Betach, natürlich mit viel Semsamsauce!«, sagt sie zu dem Verkäufer. Auf Hebräisch. »Sie tun nur so, als könnten sie kein Hebräisch, dabei sprechen sie es perfekt. Viele von ihnen arbeiten in Israel«,  sagt die 37-jährige Aktivistin vom Ma’an Worker’s Advice Center, das sich für Arbeitslose, Juden wie Araber, einsetzt. Der Buchbeitrag der palästinensischen Israelin, bereits vor der Arabischen Revolution entstanden, liest sich heute wie der Appell einer Prophetin. Die Gesellschaft sowohl in Israel als auch den palästinensischen Gebieten und den arabischen Ländern müsse sich dafür einsetzen, ihre korrupten Regierungen abzusetzen. »Weder die Amerikaner noch anderweitige Friedensvermittler werden den Konflikt lösen. Die Gesellschaft muss sich erheben und den festgefahrenen Verhältnissen ein Ende machen«, sagt sie bestimmt.

»Wir«, »Uns« und »Sie« steht auf arabisch und hebräisch auf dem Buchcover von »United States of Palestine-Israel«. »Wenn unsere israelisch-palästinensische Nationalmannschaft einmal die Bronzemedaille im Synchronschwimmen bei den Olympischen Spielen gewinnen wird, werde ich weinen. Ich, der ich Sport hasse«, schreibt der arabisch-israelische Schriftsteller Raji Bathish. Für den Autor aus Nazareth kann nur ein gemeinsamer Staat zu einer Lösung des Konflikts führen. Oder ein Erdbeben. Wenn alles nichts hilft, schreibt Bhathish sarkastisch, sei da immer noch die Möglichkeit eines Erdbebens. Die afrikanische Platte könne sich jederzeit verschieben und damit alle bestehenden Verhältnisse auslöschen – und einen Neuanfang schaffen.