Erste Premiere der Opernfestspiele München: „Die Jüdin“/“La Juive“
Erste Premiere der Opernfestspiele München: „Die Jüdin“/“La Juive“

Erste Premiere der Opernfestspiele München: „Die Jüdin“/“La Juive“

(Wegen technischer Probleme der Seite kann der Artikel erst nachträglich erstellt werden- wir bitten um Entschuldigung)

Versäumen Sie nicht einen der beiden Wiederholungstermine anfangs Juli! Es lohnt sich!

Das 1835 von Jacques Fromental Halévy komponierte Werk, in Paris uraufgehührt, ist in München zwischen 1844 und 1931 insgesamt 173 Mal aufgeführt worden – nun also erstmals wieder.
Um es zu charakterisieren:
– sehr schöne Musik, als Beispiel der frühen Blütezeit der Gattung Grand Opera
– mit krassem Inhalt: die grausame damalige Realität der Judenverfolgung (Konflikt zw. religiöser Minderheit und Mehrheitsgesellschaft)
– wieder aufgegriffen mit konzentriertem Blick auf heutige religiös-fanatische und politische Ereignissse. (Deswegen taucht das Werk in den letzten 25 Jahren auch an mehreren Orten wieder auf).

Musikgeschichte: Nach der Französischen Revolution entstand in Abwendung von der Aristokratie hin zum Geldbürgertum eine neue Operngattung, auch leichter verständlich als die Tragedie lyrique´und die Opera seria des 18.Jhds, aber eigentlich an die Pariser Institutionen und Produktionsbedingungen gebunden wegen des grossen Aufwandes (inkl.Chören, Ballett, Aufmärsche – auch mit Pferden: festgelegte Länge auf 5 Akte – wobei das Publikum erst nach und nach den beleuchteten Raum betrat, deswegen thematische Wiederholungen in den ersten). Beginnzeit und Ende waren ortsbedingst vorgegeben, ebenfalls 5 Hauptpersonen. Die Themen waren in Anfangsversuchen (Spontini) antik, dann spätmittelalterlich-historisch, v.a. konfliktbeladene Stoffe (Volksaufatand bei Auber, Vertreibung der protestantischen Minderheit in Meyerbeers „Hugenotten“ – oder der Antisemitismus).
Man bemühte sich um eine leichte, eingängige und klare Musiksprache, in der das Orchester nicht zu stark domninierte und die Gesangssolisten zwar ihre Virtuosität zeigen konnten (vgl. Belcanto-Oper), aber nicht aus der Handlung heraustretend.
Der Einfluss der Werke (grob gesagt 1830 bis 1870) ist durchaus belegbar (Donizetti, Berlioz – bei Verdi bis zum „Don Carlos“! Wagner schätzte Halevy sehr – kritisierte aber die Gattung).

Dieses Werk nun in München:
Die Lautsprecher dokumentieren die Macht der katholischen Kirche und den alles dominierenden Glauben (Te Deum mit Orgel und Chor, in der Michaelskirche aufgenommen, in der Oper ein virtueller Sakralraum, übergeleitet in die erdrückende Verstörtsheitsposition des Opfers)
– gefolgt von der Szene eines heutigen fanatisch-sektierischen Ablegers christlichen Glaubens: in der gewaltsamen Untertauch-Taufe von heranwachsenden Kindern (wobei die jüdische Hauptfigur der Oper das Wasser aufwischen muss). Die Ouverture entfällt.

Die Musik ist Schönklang – wendig, straff und doch geschmeidig geführt und konturiert durch den Dirigenten Bertrand de Billy, vielschichtig und von grossem Farbenreichtum.
Sie m a l t die Situationen und die Stimmungsanteile der Akteure. Einzelne Instrumente sind dabei nicht den Figuren an sich zugeordnet (wie etwa bei Verdi) – aber im vokalen Duett der beiden Frauen begleitet ein Hornquartett Rachel und die Streicher mit drei Solo-Celli die Prinzessin Eudoxie, und des Goldchmiedes Eleazar zwiespältige Situation (Liebe zur Stieftochter – Rache an dem christlichen Gegenspieler) wird (singulär in der Opern-Musikliteratur) einleitend durch zwei Solo-Englischhörner ausgemalt. (Den Konflikt entscheidet dann der Judenhass des Chores,
also der Gesellschaft). Übrigens ist bei der Arie der Einfluus auf Massenet erkennbar.
Den in der Belcanto-Oper zuvor und dann bei Verdi vorhandenen Drive zu einer Stretta habe ich nicht erkennen können – einzig ein Aktschluss hat offensichtlich Einfluss auf Wagners Tannhäuser genommen.

Die historische Situation des 15.Jhds, die Haltung der Gesellschaft und der persönliche Konflikt werden grausamst durchgezogen (ausser der Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen statt des Verbrühens im kochenden Wasser – wobei offen bleibt, ob Eleazar, triumphiernd in seiner Rache, überlebt, der biologische Vater der soeben Verbrannten zusammenbricht).

Die Wiederaufnahme des Werkes in der Inszenierung von Calixto Bieito hämmert das heutige Thema ein : Exzessiv die eigene Sicht seiner Religion absolut setzend – fanantisch den andern, auch der eigenen Religionsgruppe, das Leben nehmend! Ein Gott wird in einen je eigenen Gott aufgespalten, dessen vermeintlich gehörtes Wort zur absoluten Richtschnur politisch-religiösen Handelns – das erleben wir ja in Nahost und in Afrika.
Und die Opfer wrden bei uns zu neuen Opfern von Hass. – Dazu gesellt sich laizistische Religionskritik.

– Alle Personen sind schwarz-grau gekleidet (ausser Rachel, die eigentlich und unwissend als Christin das Grün der Hoffnung trägt?), insbesondere die Chor-Masse – mit Augenblenden anfangs die verblendete Masse, blind für Toleranz und Menschlichkeit. Und die Mitläufer, buhlenden Günstlinge und Karrieristen. Der Goldschmied ist mit Aktentasche wie ein Handlungsreisender, in seinem Christenhass auf geschäflichen Betrug der Christen aus (gewollt Typus des „Juden“? Der Gegenspieler steht fast nur herum (Ain Anger mit wohltönendem Bass), von 2 Szenen abgesehen. Und der Reichsfürst (Sieger über die Hussiten? noch nicht vor Konstanz!) bleibt blasser liebhaberischer Ehebrecher (Warum muss John Osborn seine schöne Tenorstimme als Mauerkletterer ertönen lassen?)

– Nicht eigentlich die Bühne als Handlungsspielraum, sondern die Idee der riesigen Stahlwand beherrscht die Optik – abweisend, trennend (die beiden Frauen sollten sich doch sehen!),

sich bedrohlich senkend,

Podest der Akteure im Gefängnis. Was soll sie alles assoziieren? Eine Mauer beherrcht die Geselllschaft von heute!

– Worte, Projektionen (die meisten unlesbar schnell):

Rache – Erbarmen – Sünde – Schuld – Strafe – Marter – Glaube
Soll das eine Anspielung auf die alttestamentlische Orakelschrift mene-tekel-upharsin sein?
Mit „Gott ist in allem“ geht man in die Pause.

Der Zeitbezug ist deutlich, die Musik sollte man einmal (wenigstens) hören und wirklich lebt die Münchner Darbietung von den beiden Frauen, die auch sängerisch prägend sind:

Aleksandra Kurzak in der Titelrolle (alle Fotos: Staatsoper)

Aleksandra Kurzak als die „Jüdin“ und Vera-Lotte Böcker als liebende Ehefrau. Roberto Alagna ist der bereits geschilderte „Typ“, musikalisch-sängerisch eigentlich nur in der Arie des 4. Aktes die Hauptfigur.

MünchenBlick/ Walter Schober

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