Wochenende 20.4.
Wenn man ein Pferd von hinten aufzäumt, setzt man sich der Gefahr von Tritten aus: schwerste Verletzungen zu erleiden, schmerzhafte mit langen Folgen, mit Spätfolgen zuweilen, die man als solche zunächst nicht identifiziert, die sich aber als schwerwiegend herausstellen.
In der Frage der massenhaften Fluchtbewegungen aus den Bürgerkriegsgebieten des Vorderen und Mittleren Orients (konkret Syrien, Irak, Afghanistan), abgesehen vom den Krisengebiten Afrikas (über Nordafrika),
hat die EU nun bei den Flüchtlingen vor der Haustür der EU in Griechenland angesetzt –
auf Initiative der deutschen Bundeskanzlerin, da das bevorzugte Wunschziel die Bundesrepublik ist.
Bei den Fluchtursachen anzusetzen fühlt man sich machtlos: den Kriegsursachen, den Gesellschafts- und Regierungsformen, dem „Völker“recht (dem in der jetzigen Form der Wissenschaftsrang aberkannt werden müsste, da es nicht das Recht der Völker vertritt, sondern das der gegebenen und nicht hinterfragten Regierungen – auch wenn sie Potentaten sind).
Es werden auch nicht die Fluchtwege in den Blick genommen, deren erste Pforten: Diese Länder sind oft parteiisch, selbst Kriegspartei. Müsste nicht schon da angesetzt werden?
Es wird nicht die Weltgemeinschaft angesprochen, die Gesamtheit der Staaten, es werden nicht die Staaten mit größerer kultureller und religiöser Nähe bzw. größerer politischer und wirtschaftlicher Kraft herangezogen.
Es wird auch nicht der Zeitaspekt berücksichtigt: mit den Fragestellungen Rechtzeitigkeit, Versäumnisse, Sofortfälligkeiten (wie bei Katastrophen, wo helfendes Zupacken sofort erfolgen muss).
Blicken wir auf die Einfallspforten in die EU, dann sind das Portugal, Spanien, Italien und Griechenland – namens der Europäischen Gesamtgemeinschaft, und diese müsste s o f o r t die Kosten übernehmen (Diese Länder müssten nur ihren Regelbeitrag in die EU-Kasse einzahlen). (Auf die Thematik des Mittelmeeres insoweit internationales Gewässer müssen wir bei diesem Artikel nicht eingehen – nur mit der Anmerkung: Die in diesen aus Seenot Geretteten müssten in beide Richtungen gebracht werden können, die in nationalen Gewässern in den jeweiligen Hoheits-Staat.)
In der gegenständlichen Thematik geht es nun um ein Transitland, das nicht der EU angehört: die Türkei.
Sie ist in ihrer Grenze zu Irak und Syrien Zugangspforte für die Fliehenden – in sehr problematischer Weise – , erstes Zuflchtsgebiet und in Folge Ausgangstor zur EU und deswegen notwendiger Partner.
Der in Europa gelegene Landesteil hat eine Landgrenze – aber der Großteil des Grenzverlaufs liegt im Ägäischen Meer, und das teils mit geringen Entfernungen.(Ob zu Lesbos und Chios überhaupt ein internationaler Gewässer-Anteil liegt, ist mir nicht bekannt.)
Auf alle Fälle müsste bei einer Seenot-Rettung der gleiche Grundsatz gelten wie im Mittelmeer: Die bereits in internationalem Gewässer befindlichen Flüchtlinge müssten von der EU aufgenommen, versorgt und der Einzelfall-Überprüfung unterzogen werden – sofort auf Kosten der Gesamt-EU! Da die Schlepper nicht dabei sind, können sie nicht verhaftet werden.
Da die Türkei kein EU-Land ist, ist eine vertragliche Lösung entsprechend internationalem Recht zu treffen. Die Türkei hat nicht den Status eines „sicheren Drittlandes“ und darf ihn auch nicht bekommen (dazu später)!! Im Vertrag müssen den Flüchtlingen grundsätzlich die Rechte nach UN-Konvention und Genfer Konvention eingeräumt werden (bei der allfälligen Frage nach „subsidiärem Schutz“ die allenfalls gegebenen Bestimmungen des griechischen Grundgesetzes) – alles in einer Einzelfall-Prüfung. Diese darf ihnen nicht verweigert werden, denn sie kommen aus keinem sicheren Drittstaat! Den in der Türkei befindlichen bzw. aus türkischen Gewässern zurückzubringenden Flüchtlingen müsste vertraglich der Zugang zu einer diplomatischen Vertretung eines EU-Staates ermöglicht werden! Die Türkei müsste verbindlich mittels ihrer Behörden und Organe das Schlepperwesen abstellen – bei dem bereits festgelegten NATO-Einsatz als NATO-Mitglied wie die anderen Mitglieder. Das offizielle EU-Organ Frontex müsste bevollmächtigt werden (was bisher nicht geschehen ist).
Wie ist dies zu erreichen?
1. Da die Türkei das einzige Nicht-EU-Land mit einer Grenze zu Syrien und Irak (mit Transit aus Afghanistan und Pakistan) und einer Grenze zur EU ( einerlangen und komplizierten infolge Inselwelt und Kurzdistanzen) ist, ist eine Lösung des Migration-nach-Europa-Problems nur durch eine vertragliche Einigung EU – Türkei möglich und nicht ohne sie.
2. Da die Türkei ihre internationalen Verpflichtungen nach UN-Konvention und Genfer Flüchtlingskonvention sehr ambivalent erfüllt (beides ist zu beachten und zu werten) und in ihrer derzeitigen Politik den eigenen Staatsbürgern gegenüber milde gesagt sehr diskussionswürdig-umstritten ist, gilt Folgendes:
3.1: Es ist ausdrücklich anzuerkennen, dass das Land eine sehr grosse Zahl von Flüchtlingen (man spricht von 2 1/2 Millionen) aufgenommen hat und deren
s o f o r t i g e V e r s o r g u n g zu leisten hat.
Dafür hat sie grundsätzlich Anspruch auf s o f o r t i g e Unterstützung (was bisher nicht geschehen ist, nur Versprechungen – darüber regen sich die Bürger des Landes zurecht auf).
3.2: Es ist aber auch belegte Tatsache, dass die Türkei an ihrer Ost+Südost+Südgrenze (Eintrittspforte für Zuflucht-Suchende) sehr restriktiv (bezüglich nationaler und religiöser Zugehörigkeit usw) und damit nicht internationalem Recht entsprechend vorgeht. Sie schiebt Menschen in andere Länder ab, sie lässt Tausende lange Zeit oder überhaupt vor der Grenze im Elend, sie greift vor allem Kurden auf fremdem Staatsgebiet (nicht nur auf eigenem!) militärisch an
und verursacht so selbst eine Fluchtbewegung.
Sie kann schon deswegen (spezielle Ausführungen folgen) von niemandem den Status eines „sicheren Drittstaates“ zugesprochen bekommen!!
3.3: Verhandlungen und Verträge mit der Türkei können so nur über das Sachgebiet „Migration in die EU“ geführt werden,
es dürfen nicht erpresserisch weitere Themenbereiche (wie Visa-Liberalisierung, EU-Aufnahme-Kapitel) verhandelt werden. Es war ein Fehler, sich darauf einzulassen!
3.4: Als europäisches Druckmittel können nur Zahlungen und der Zeitpunkt der Zahlung, nämlich sofortig und auch rückwirkend – kontrolliert und daher stufenweise – eingesetzt werden,
was ja auch für die zufällig an der EU-Aussengrenze liegenden EU-Mitgliedsländer (also oben genannte Mittelmeer-Länder und Bulgarien) und
Nicht-EU-Transitländer wie Mazedonien und Serbien zu gelten hat. „Ihr bekommt sofort Geld – aber bei Gegenleistungen an der Grenze zur EU“, und Abzügen nach folgenden Kriterien:
3.5: Da die Türkei Nachbarland von Syrien und Irak ist, hat es wie jeder Staat ein Kontingent aus Eigenem zu übernehmen (ohne wegen „Rasse, Religion oder sozialer Gruppe“ – so die internationalen Texte – zu diskriminieren),
und da die Flüchtlinge zum überwiegenden Teil demselben Kultur-Religions-Kreis angehören (noch dazu sunnitisch), darf die Weltgemeinschaft erwarten, dass die Türkei auch da ein Kontingent übernimmt.
Ebenso darf die EU Kosten für die Übernahme sämtlicher Migranten, die von der Türkei selbst dazu veranlasst werden (vor allem für Kurden anderer oder auch türkischer Staatsbürgerschaft) in Abzug bringen.
Das restliche Geld ist der Türkei s o f o r t und auch r ü c k w i r k e n d auszuzahlen, kontrolliert und Zug um Zug,
und dafür hat sie die Grenzen zur EU zu sperren mit Ausnahme der durch EU-Botschaften zur Umsiedlung berechtigten Mitgranten.
Das Schlepperwesen ist zu unterbinden (effektive Überwachung und Strafverfolgung, Rücknahme der in der Ägäis Aufgegriffenen).
Die Ausreise-Überwachung hat auch für Bürger anderer Staaten zu gelten, die kraft Visafreiheit in die Türkei legal eingereist sind (Nordafrikaner!!).
Dass die EU-Staaten ein Problem mit der Gelderbringung hat, ist ihr Problem und hat sie zu lösen (wie bei Katastrophenfällen) –
ebenso wie die Verteilung aller übernommenen und zu übernehmenden Migranten/Asylberechtigten, subsidiär Schutzberechtigten,
und zwar durch s o f o r t i g e Verteilung/Aufnahmezusagen. Sonst brauchen wir dieses „Europa“ nicht.
3.6: Der in der vorigen Woche geschlossene Pakt EU-Türkei darf von keinem EU-Land ratifiziert werden, er ist neu zu verhandeln.
3.7: Dieser Pakt ist auch zum Schutze der türkischen Staatsbürger zu annullieren
und die EU muss verhindern, dass eine Welle flüchtender Kurden auch aus der Türkei (im Falle der Visafreiheit auch mit türkischen Pässen ungehindert ausreiseberechtigt für 90 Tage und zur Antragstellung in Griechenland) die EU zusätzlich übernehmen muß.
Wenn Herr Erdogan Geld haben will – und das will er – , dann bekommt er es sofort einsetzend, aber ohne Forderung bestimmter Höhen.
Und wenn es es ernst mit der Aufnahme in die EU meint, dann hat er alle Regeln internationalen Rechts, alle europäischen Rechtsstandards (also auch unsere Sicht der Menschenrechte und der Demokratie) zu erfüllen. Wenn ein Kapitel in den laufenden Beitrittsverhandlungen nicht erfüllt wird, sind diese sofort auszusetzen (auf spätere Zeiten -Die Perspektive soll dem NATO-Staat aber erhalten bleiben).
3.8: Der Status „sicherer Drittstaat“ mit der daraus folgenden – das ist ja die Absicht von Frau Merkel und der EU – Ablehnung eines Schutz- und Asylantrags an die EU bei der Einzelfall-Überprüfung auf griechischem Boden (übrigens egal, ob legal oder illegal eingereist – deswegen wird das Schlepperwesen nicht aufhören), kann nicht gewährt werden, weil die Türkei
– die Kopenhagener Kriterien nicht erfüllt
– weil die Türkei die Genfer Konvention nicht „vollständig anerkennt“, sondern ausdrücklich „unter geographischem Vorbehalt“ nur für aus Europa Einreisende (andere überhaupt Eingelassene sind „Gäste“ in „bedingtem Flüchtlingsstatus“, zur Abwicklung des UNHCR-Verfahrens zum Resettlement dh Umsiedlung)
– weil die Türkei gegen das Refoulement-Verbot (von Abschiebungen woanders hin,Kettenabschiebungen, Zurückschiebungen an der Grenze) verstößt.
(Quellen: türk. Recht, Aussagen des türk. Ministerpräsidenten, EurActiv, ProAsyl e.V., ECRE, Human Rights Watch)
Wir dürfen uns von unseren Regierungen nicht einlullen, für dumm verkaufen und täuschen lassen. Der 4.4. wird der erste „Tag der Wahrheit“ sein. Die „Tritte der Türkei“ (Vergleichsbild ganz oben) gibt es heute schon – und kommen unweigerlich in der Zukunft: Wollen wir die Erdogan-Türkei in der EU?
An sich reise ich gerne dorthin, wegen ihrer Kultur durch Jahrtausende.
MünchenBlick/ Walter Schober